Arthur-Petersen-Preis 2024
157Ausstellung der vier Preisträger*innen:
Leon Bischinger, Raumstrategien
Simon Diepold, Industriedesign
Karla Rosenplänter, Kommunikationsdesign
Maria Gerbaulet, Freie Kunst
Eröffnung: 14. November 2024, 18 Uhr im spce | Muthesius
mit Preisverleihung durch Präsident Arne Zerbst
Zum zweiten Mal vergeben wir den Arthur-Petersen-Preis der Muthesius Kunsthochschule. Mit der Auszeichnung werden aus jedem Studiengang besondere künstlerische oder gestalterische Leistungen durch die Stipendienjury der Kunsthochschule prämiert.
Er ist mit insgesamt 10.000 Euro dotiert, aufgeteilt in vier Preise in Höhe von jeweils 2.500 Euro, die ausgewählte Abschlussarbeiten oder Abschlussprojekte von Masterabsolvent*innen der Studiengänge Freie Kunst, Raumstrategien, Industriedesign und Kommunikationsdesign auszeichnen.
Leon Bischinger
SALON – Rurale Begegnungsstrategien in ostdeutschen Kulturräumen, 2024
Gulaschkanone, Dokumentarische Fotografien einzelner SALON Veranstaltungen, Zeltdach mit olivgrünem Militärfallschirm
S A L O N ist eine Feldküche
S A L O N ist eine Kulturkanone
S A L O N ist eine Installation
S A L O N ist eine Bühne
S A L O N ist ein Monument
S A L O N ist Raumgestaltung
S A L O N ist Gesprächsanlass
S A L O N ist Feldforschung
S A L O N ist Saloon
„Eine Gulaschkanone ist (k)ein Relikt. Sie und die Orte an denen sie stehen sind besonders. Sie sind funktional und temporär, ungemütlich aber gesellig. Sie sind Orte zum Essen und zum Austausch. Mit dem Projekt SALON soll so ein Ort genutzt, besprochen, in seiner politischen Dimension diskutiert und als etwas „Neues“ rekonfiguriert werden.“
S A L O N beschäftigt sich mit der Frage, wie künstlerische Formate entwickelt werden können, die aktuellen gesellschaftlichen Spaltungstendenzen entgegenwirken und demokratiefördernde, gemeinschaftsstiftende, politisch-soziale Wirksamkeit in ruralen Milieus entfalten.
Das Aktionsfeld bezieht sich in Bischingers Praxis vorwiegend auf ostdeutsche Räume, die bislang von institutionell initiierten Impulsen unberührt blieben. Ziel ist es, Diskurse anzuregen, in denen sich die Unzulänglichkeiten politisch-motivierter Bildungsversuche zeigen und ‚im Feld‘ erprobte Handlungsoptionen besprochen werden, um damit unwahrscheinlich gewordene Begegnungen im öffentlichen Raum wieder möglich zu machen. Diese Begegnungen werden als Voraussetzungen dafür gesehen, dass Menschen das öffentliche Leben ihrer Region aktiv mitgestalten - und damit lernen autark, selbstwirksam und kleinmaßstäblich-lokal sozialräumliche Lücken zu füllen. Lücken, die, aufgrund geschichtlicher Veränderungen politischer und wirtschaftlicher Systeme und Systemwechsel die Lebensqualität in ländlichen Räumen massiv mindern.
Bei all der methodischen Pluralität und individuellen Perspektivvielfalt zeigt sich die emblematische Verortung der Formate im Objekt der Gulaschkanone dabei als erdendes Moment.Das Objekt, sein Kontext und ‚Unterton’ ist vieles: ein räumlicher Anhaltspunkt, ein profan-praktisches Objekt und ein Mittel, das über die Außenwirkung des Projekts Türen öffnen kann. Die räumliche Situation um das behauptete ‚Symbol ostdeutschen ruralen Kulturraums‘ dient einer Vielzahl von Veranstaltungsformaten als Rahmen, ästhetische Einfärbung und stiller politischer Kommentar.
Der S A L O N kann als Forschungsmobil eine Vielzahl von Erfahrungen und Anekdoten sammeln, die für den kuratorischen ‚Eingriff’ in ruralen ostdeutschen Kulturräumen zu betrachten sind, aber auch in anderen komplexen Bürger*innen-Konstellationen von großer Bedeutung sein können.
In Formen des persönlichen Austauschs auf Basis eines Gefühls der Verbundenheit - trotz offenkundiger Differenzen - liegt der zentrale Ansatz des Projekts. Statt großen politischen Statements und Gegenpositionierungen setzt der S A L O N auf die Kraft kleiner Situationen. So wie es scheint passieren hier in einer festgefahrenen politischen Situation die größten Veränderungen:
* im Zulassen temporärer Irritation, im eigenen Ins-Stocken-Kommens und im Erkennen des Stockens des Anderen
* im kleinen, beruhigten aber wachen Moment der gegenseitigen Wahrnehmung
* im Veranschaulichen politischer Fassaden in den Bereich des ehrlich Emotionalen
Interview – Leon Bischinger und Max Prange
SALON als Teamkonstellation.
M.P.: Hinter SALON steckt ein Team aus sechs Personen, die sich vor dem Projekt nicht kannten. Wie habt ihr zusammengefunden?
L.B.: Die Teammitglieder von SALON sind zuerst mal Menschen aus meinem Freundeskreis. Diese Personenkonstellation ist aus einer ganz pragmatischen Situation und einer intuitiven, ziemlich schnellen Entscheidung heraus entstanden.
Es gab von der Bundesstiftung Baukultur einen kleinen Wettbewerb: 10 m2 Baukultur, ausgeschrieben war das Ganze für Projektteams.
Dann habe ich die erstmal solistisch entstandene Idee ausformuliert und mir ein Projektteam ausgedacht, von den Namen ich eine Person vorher in Kenntnis gesetzt und vier Personen erst im Nachhinein mit so einem Schmunzeln informiert hatte und erfragte, ob sie tatsächlich dabei wären. Das Schmunzeln wurde erwidert und dann kam auch die Zusage.
SALON als Ort der Begegnung.
M.P.: Du schilderst, wie wichtig und gleichzeitig herausfordernd es war, Personen unterschiedlicher Milieus zusammenzubringen. Wie seid ihr mit dieser Herausforderung umgegangen?
L.B.: Es war schon krass zu merken, dass man selbst mit ganz kleinen Entscheidungen schon bestimmte Leute ein- und auslädt und man nur wenig Veränderung an einer bekannten Situation oder einem bekannten Objekt braucht, um es bereits befremdlich wirken zu lassen bzw. die Leute skeptisch werden.
Zum Beispiel hat man die Gulaschkanone, aber lässt das Fleisch weg, also macht veganes Gulasch. Da würde man jetzt denken: Ist eine total sinnbringende Veränderung und für alle essbar. Gleichzeitig hat es sich schon vorher in Gesprächen ergeben, dass das eine Sache wäre, die gar nicht funktionieren würde. Menschen haben schon vorher gefragt, ob es auch Fleisch gibt. Das war wichtig für ihre Entscheidung, ob sie diese Veranstaltung besuchen oder nicht.
Also gab es erstmal kein Gulasch, dann stellte sich die Frage nicht. Generell haben wir geschaut, dass sowohl als auch angeboten wird und man innerhalb dieser Gulaschkanonen-Situation koexistieren darf.
Wir schauten auch in unserer Kommunikation, was wir für eine Sprache sprechen. Ich glaube es war ein großer Faktor und eine große Herausforderung anzufangen, eine Sprache zu sprechen, die sich nicht verbiegt, die in einem selbst ruht, die authentisch ist und trotzdem nochmal auf einer anderen Ebene anschlussfähig ist.
SALON als Gulaschkanone.
M.P.: Welche Rolle spielte Humor für den SALON?
L.B.: Humor spielt für das Projekt tatsächlich eine riesengroße Rolle.
Vor allem auf so einer Art verschmitztem Grinsen, das man hat, während man davon erzählt. Dieses Changieren zwischen den Welten, was auch immer jeweils eine Welt ins Lächerliche zieht. Es stellt das Künstlerische, das Intellektuelle als quatschig dar, während es gleichzeitig dieses Archetypische, Traditionelle Hops nimmt. Da steckt beides drin. Das macht das Projekt auch aus und sorgt vielleicht für eine Form von Versöhnung zwischen diesen Welten.
SALON als Forschungsprojekt.
M.P.: Ist das Projekt mit der Ausstellung im sp_ce | Muthesius abgeschlossen?
L.B.: Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Der SALON hat jetzt erstmal noch zwei Jahre TÜV, das müssen wir ausnutzen.
Im kommenden Jahr wäre es mein Wunsch, dass viele nicht reflexive Veranstaltungen stattfinden. Vielmehr sollen ganz unmittelbare Situationen entstehen, die den Leuten hier vor Ort was bringen und die auch wirklich von Leuten vor Ort durchgeführt werden. Das wäre so das große Ziel.
Eine andere Sache, die auch thematischer sein dürfte, wäre die Idee eine Workshopreihe zu machen: Fünf Workshops, bei denen immer eine Person aus dem Team, eine Person vor Ort und eine externe Person aus einem gestalterischen Kontext und mit einer bestimmten Methode zusammenarbeiten. Gerade die Bereiche Street Art, Village Art oder Aktions- und Installations-kunst könnten so nochmal anders im Ort sichtbar werden.
Das wäre der künstlerische Part und der andere wäre wirklich einfach: Wir lassen’s uns gut gehen, hocken aufeinander, verhandeln Welt und entwickeln Ideen.
Karla Rosenplänter
All the Young Dudes – Übersetzung einer Fanfiction ins Analoge, 2024
24,4 x 18,4 cm
Offene Fadenheftung, französische Kreuzstichbindung
Papier: Pergraphica Natural Rough 90g, Clairefontaine Trophée 80g Sand
Baderole: Leinen
Schrift: DTL Dorian, Source Code Pro
Fanfiction ist ein Medium, das in den letzten Jahren zunehmend an kultureller Bedeutung gewonnen hat, aber dennoch oft in akademischen und gestalterischen Diskursen vernachlässigt wird. Fanfiction-Communities, die oft in Form von Online-Archiven existieren, sind Mikrokosmen, in denen Fans nicht nur passiv konsumieren, sondern aktiv Inhalte erschaffen, interpretieren und weiterentwickeln. Diese Online-Plattformen sind weitaus mehr als bloße Foren; sie sind Orte intensiver Auseinandersetzung, kritischer Reflexion und kollektiver Kreativität. Die Vorstellung, dass Fans ein Werk so sehr lieben, dass sie es durch eigene Geschichten erweitern und es auf diese Weise weiterleben lassen, ist von großer Faszination.
Diese Faszination diente Karla Rosenplänter als Ausgangspunkt, Fanfiction nicht nur als kulturelles Phänomen zu untersuchen, sondern auch als gestalterische Herausforderung zu betrachten. Wie lassen sich die spezifischen Eigenschaften des eigentlich rein digitalen Mediums in ein analoges Format übertragen? Wie lässt sich die offene, fortlaufende Struktur von Fanfiction in einem Buchobjekt darstellen? Wie kann die visuelle und haptische Gestaltung dazu beitragen, die Interaktivität und den kollaborativen Charakter widerzuspiegeln?
Entstanden ist ein Buchformat, das die Kapitel der Fanfiction und die zugehörigen Kommentare in einer strukturierten, aber dennoch flexiblen Form miteinander verbindet. Jedes Kapitel der Geschichte wird gefolgt von einer Lage, die die Kommentare der Leser*innen zum jeweiligen Kapitel enthält. Diese Abfolge spiegelt die Interaktivität und den fortlaufenden Dialog wider, der für Fanfiction so charakteristisch ist.
Ein zentraler Bestandteil der dem Buch zugrunde liegenden theoretischen Arbeit war die kritische Auseinandersetzung mit dem Weltbild der Harry-Potter-Romane sowie die Analyse von „All the Young Dudes“ als eine queere Fanfiction in diesem Universum. Diese Geschichte nimmt eine besondere Stellung ein, da sie nicht nur ein beliebtes Werk innerhalb der Fanfiction-Community ist, sondern auch in einem Spannungsfeld zu den problematischen Äußerungen von J.K. Rowling steht. Rowling wurde in den letzten Jahren wiederholt wegen trans- und queerfeindlicher Kommentare kritisiert, was viele Fans dazu bewegt hat, eigene queere Erzählungen im Harry-Potter-Universum zu schreiben, die den von Rowling geschaffenen Figuren neue, inklusive Bedeutungen verleihen. Fanfiction funktioniert hier als ein Medium des Widerstands und der Repräsentation und wie es Fans ermöglicht, eigene Identitäten und Vorstellungen in bestehende Werke einzuschreiben und sich somit Welten anzueignen.
Karla Rosenplänter überführt mit ihrem Buch die vielschichtigen Aspekte der Fanfiction als einem kreativen, kollaborativen und oft subversiven Medium in eine analoge Form und macht so die Bedeutung und den Wert dieses Mediums auch außerhalb des digitalen Raums erst sichtbar.
Interview – Karla Rosenplänter und Mina Hesse
M.H: Hat die Fanfiction, die du gewählt hast, eine besondere Bedeutung, und wie hast du diese Wahl getroffen?
K.R: Ich habe, bevor ich auf Empfehlung einer Freundin diese Fanfiction gelesen habe, mit Fanfiction eigentlich kaum Berührungspunkte gehabt, bin also eigentlich nur über diese da hin gekommen. Und diese Fanfiction ist die meistgelesene im Harry-Potter-Universum und auch auf Archive of Our Own [Website, auf welcher die Fanfiction hochgeladen wurde], unter den Top 10 meistgelesenen. Ich habe mich, als ich sie das erste Mal gelesen habe, sehr gefreut, dass es einen kritischen Blick auf die Harry-Potter-Welt wirft, dass man dort ganz viele Themen von Identität und Freundschaft und Marginalisierung findet.
Vor allem mit J.K. Rowlings aktuellen Aussagen [transfeindliche Äußerungen], mit welchen sie ja wirklich einen Großteil ihrer Fanbase vergrault hat. Für mich war Harry Potter danach ein bisschen gestorben. Bis ich dann diese Fanfiction gelesen habe und gedacht habe, okay, es hat total den Vibe der ganzen Welt, ist aber politisch korrekt, ist eine Welt in der man selber [als queere Person] existieren darf und in der man Identifikationsfiguren hat. Und es schafft dadurch eine richtig schöne Sichtbarkeit.
Wobei J.K. Rowling und die Harry Potter Welt nicht nur im Hinblick auf Queerness problematisch betrachtet werden sollten, es gibt da auch Problematiken wie Antisemitismus und Verharmlosung, fast schon Verherrlichung von Sklaverei durch die Darstellung der Hauselfen.
Ich habe mich in meiner Theorie viel mit dem transformativen Charakter von Fanfiction auseinandergesetzt. Also, was kann Fanfiction eigentlich, wie können Fans sich ihre Fantasiewelten erhalten, wenn Autor*innen problematisch werden, eben genau vor dem Hintergrund der J.K. Rowling Problematik.
Ich finde auch die Geschichte sprachlich beeindruckend und ich fand besonders die Kommentarspalten spannend. Ich hab mich ganz viel damit auseinandergesetzt, also, was wird da eigentlich diskutiert, und wie antwortet die Autorin darauf. Dieser Ablauf ist extrem interaktiv und gemeinsam wird eine Art Safe Space kreiert, und das wollte ich unbedingt in meine Arbeit aufnehmen.
Das habe ich auch gestalterisch versucht darzustellen: Die eigentlichen Kapitel habe ich schön klassisch literarisch gesetzt, wie ein richtig wertiges Buch und dann hinter jedem Kapitel, in einer anderen Schriftart, auf einem anderen Papier, die zugehörige Kommentarspalte.
M.H: Es ist ja auch schön, dass du dann deinen Einstieg benutzt, um anderen Leuten auch diesen Einstieg zu geben. Inwiefern, wenn überhaupt, hast du bei der Konzeption die Interaktion der Betracher*innen mit dem Werk bedacht?
K.R: Das Buch ist ein Objekt, das eigentlich nicht raumgreifend funktioniert, sondern dass eine Eins-zu-eins-Auseinandersetzung braucht. Lesen tut man normalerweise allein Zuhause. So ein geschlossenes Buch ist erstmal nichts, was im Raum heraussticht. Deshalb finde ich es auch in diesem Ausstellungsraum mit den anderen Installationen daneben ein bisschen schwierig, weil ich das Gefühl habe, die anderen Sachen strahlen auf den ersten Blick mehr aus, stechen mehr ins Auge, und das Buch ist eine geschlossene Sache, die nicht sofort zugänglich ist.
Aber Leserinnen haben dann die Möglichkeit, entweder wirklich in ein kompliziertes Gebiet einzutauchen und es als Geschichte komplett durchzulesen, oder sich mit dem interaktiven, kollaborativen Prozess in den Kommentaren auseinanderzusetzen, mit den Diskussionen, die dort stattfinden. Allein schon die Frage, ist Remus vielleicht Legastheniker? Und einfach andere solche Mutmaßungen; wie könnte es weitergehen, was kann davor noch geschehen sein? Es gibt auch einige Sachen aus den Kommentaren, die die Autorin in den kommenden Kapiteln aufgreift. Man lernt auch in den Kommentaren manche Nutzerinnen kennen, die dann unter jedem Kapitel wieder kommentieren. Oder man kriegt mit, wie Leute, die etwas Negatives schreiben, ein wenig zur Schnecke gemacht werden. Es ist natürlich schade, wenn queerfeindliche Kommentare drunter stehen, aber gleichzeitig ist es dann auch schön zu sehen, wie so eine Community zusammenkommt, um sich dagegen zu wehren.
M.H: Ich finde deine Arbeit ist auch gestalterisch wirklich toll geworden. Du hast ja die hintere Seite auch offen gelassen, um anzudeuten, dass es dann noch weitergehen kann. Charakteristisch für eine Fanfiction ist ja, dass es kein definiertes, klares Ende gibt eigentlich.
K.R: Genau, es geht darum, dass immer noch irgendwas weiteres dazu geschrieben werden könnte. Natürlich gilt diese Fanfiction jetzt erstmal als abgeschlossen. Ich habe es auch offen gelassen, weil es einfach so umfangreich gewesen wäre, dass ich das nie und nimmer alles hätte beenden können. Ich habe die ersten 15 von 182 Kapiteln gebunden, aber mit den Kommentarspalten zusammen. Und das Buch ist jetzt schon mehr Kommentarspalte als eigentliche Geschichte. Dieses Übersetzen vom Digitalen ins Analoge hat gestalterisch richtig viel hergegeben, weil es ein ganz besonderes Medium ist, welches ausschließlich digital stattfindet, komplett nicht kommerziell ist, welches nicht veröffentlicht wird. Also im Grunde nicht offiziell, sondern eher privat.
Fankultur wird ja oft belächelt, und Fanfiction wurde in wissenschaftlichen und gestaltungstechnischen Diskursen bislang eher vernachlässigt.
M.H: Um Fanfiction bilden sich ja richtige Subkulturen, vor allem wenn es dann so eine große ist wie diese. Dann geht dein Werk ja auch schon fast ins Kulturwissenschaftliche. Und du hast damit ja auch etwas Neues gemacht; wie du gesagt hast, ist Fanfiction im wissenschaftlichen Diskurs bisher eher außen vor geblieben.
K.R: Ja, total. Weil es sich ja auch einfach wirklich nicht nur mit der Fanfiction an sich, also mit der Geschichte an sich, auseinandersetzt, sondern eben mit Fanfiction als Medium ganz stark. Und auch mit dieser Interaktion zwischen den verschiedenen Personen, die es lesen und die Bildung einer neuen Subkultur. Ich wollte dem in diesem Buch Raum geben, der Geschichte die Wertigkeit verleihen, die sie verdient hat.
M.H: Ist das dann auch die Kernidee gewesen, dass du dieser Fanfiction, die ja auch für dich dann irgendwie wichtig war, weil es dir Harry Potter zurückgegeben hat, diese Wertigkeit verleihen wolltest oder kam das woanders her?
K.R: Ich denke, es war ein zweischneidiges Ding. Zum einen hat es mich einfach gestalterisch interessiert, wie ich möglichst viele Merkmale, die eine Fanfiction hat, in ein Buchobjekt bringen kann. Also diese Erweiterbarkeit, das Offene, das Interaktive, dass Kapitel und Kommentare miteinander verbunden sind und untrennbar zusammengehören, das war das eine. Und das andere war, diese Wertigkeit geben zu wollen. Und auch der Wunsch zu zeigen, dass Fanfiction durchaus ein unterschätztes Medium sein kann.
Simon Diepold
Abora - Biodiversität und Umweltmonitoring in der Aufforstung, 2024
Monitoring-Einheit zum Sammeln von Umweltdaten standortspezifischer Mikro-Klimata mit eingebauter Kamera für Umgebungsfotografie, Bioabbaubares Duft-Label, Wallpaper
» Jeder Baum, der gepflanzt wird, ist viel mehr als nur ein Baum - es ist ein Zeichen der Hoffnung und des Glaubens an einer lebenswerten Zukunft. Dafür steht Abora.«
In vielen Wäldern ist der Konflikt zwischen Naturschutzzielen und den forstlichen Wirtschaftszielen allgegenwärtig. Dies zeigt sich insbesondere in der Aufforstung. Aktuelle Lösungen, welche den Herausforderungen entgegenwirken, sind hauptsächlich wirtschaftsorientiert und damit naturfern. Dem begegnet Simon Diepold mit seinem konzeptionellen Entwurf Abora. Abora verdeutlicht: Ökologie und Ökonomie stellen in einem nachhaltigen Konzept der Forstwirtschaft keinen Widerspruch dar.
Wälder sind zugleich Sehnsuchtsort, Mythos, Ökosystem, aber auch Wirtschaftsfaktor. Viel mehr noch gehören Wälder zu den Lebensgrundlagen der Menschheit. Das Ökosystem Wald und die Nutzung des Rohstoffes Holz sind essentiell für eine klimaneutrale Zukunft. Gerade in Zeiten des Klimawandels sind die vielseitigen Ökosystemleistungen eines intakten und gesunden Waldes wichtiger denn je. Dem widerspricht der Zustand vieler Wälder, der unter anderem wegen der Vielzahl von Kahlflächen besorgniserregend ist. Langfristig ist daher das Ziel, den Wald durch naturnahe Waldwirtschaft, welche besonders die Biodiversität erhöht, nachhaltig wieder aufzubauen und für die Zukunft zu stärken.
Die Transformation von Wäldern hin zu einem resistenten Klimawald der Zukunft ist im vollen Gange. Dabei hat es oberste Priorität den Wäldern neue klimaresistente Baumarten beizumischen. Eine der größten Herausforderung dabei ist, dass die Setzlinge standortgerecht gepflanzt werden, um so die sonst sehr hohe Mortalität in den ersten Jahren zu minimieren. Das fehlende Wissen über neue Baumarten in Kombination mit den sich schnell verändernden klimatischen Rahmenbedingungen verschärft diese Problematik. Darüber hinaus nimmt der Schutz vor Wildverbiss erhebliche Ressourcen in der forstbaulichen Praxis in Anspruch.
Abora besteht daher aus zwei Produkten: Abora-Schutz und Abora-Monitoring. Ein bioabbaubares Label schützt junge Bäume vor Wildverbiss. Es senkt so die Mortalität der Jungpflanzen und fördert damit die Biodiversität. Während des Abbauprozesses des Labels werden kontinuierlich Duftstoffe freigesetzt, die das Wild schonend auf Abstand halten. Die Monitoring-Einheit zeichnet gleichzeitig Umweltdaten der standortspezifischen Mikroklimata im Wald auf. Darüber hinaus werden Umgebungsfotos aufgenommen und so die Mortalität mittels einer Software über einen Zeitraum von vier Jahren dokumentiert. Die Korrelation zwischen einer Baumart, ihrer Mortalität und den lokalen Klimadaten ist letztlich von großer Bedeutung für die Forstwissenschaft.
Durch das neue, datenfundierte Wissen über die optimalen Standorteigenschaften der einzelnen Baumarten kann die Mortalität entscheidend gesenkt werden. Die Transformation hin zu einem nachhaltigen, klimaresistenten Wald wird so effizient gefördert.
Maria Gerbaulet
In den formal-ästhetischen Arbeiten von Maria Gerbaulet geht es um körperliche Zustände, die auf Materialebene übertragen werden und als Skulpturen räumlich zurück auf den Körper des Rezipienten wirken. Dabei geht es um den Versuch, einen körperlichen, vergänglichen Zustand zu (er-)halten und zu fixieren. Die verwendeten formbaren Materialien (u.a. Wachs, Ton) erlauben der Künstlerin Spuren ihrer Behandlung – Verformung, Fixierung und Stauchung – in der Oberfläche darzustellen. In allen drei hier gezeigten Arbeiten ihres Masterabschlusses stehen sich kontrastierende Körperkonzepte gegenüber: der Körper als System (Disziplinierung, Optimierung, Objektifizierung) im Gegensatz zum Körper als vermeintlich natürliches Wesen (Deformation des Materials, Verletzlichkeit, Vergänglichkeit). Die verwendeten Readymades von Hindernisauflagen, über Fixierungssystemen aus dem Trockenbau, Spannsystemen oder Drainagerohren, werden bewusst so räumlich eingesetzt, dass die Manipulation und Steigerung ihrer Funktion Irritationen innerhalb der Skulptur schaffen. So ist das Drainagerohr, das zur Ableitung von Flüssigkeiten dient und so Gebäude (oder auch in anderem Kontext Körper) schützt in der Arbeit Drain vollständig umgeben von einer Flüssigkeit, die zwischen Konservierungs- und Heilungssubstanz schwankt. Bei Tiefstart wird die Verbindung von körperlicher Anspannung und Disziplinierung im Moment des Tiefstarts beim Sprint auf die plastische Masse des Tons übertragen und eine Verdichtung sowie Spannung erzeugt. In der Arbeit barren werden die Halterungen der Sprungauflagen durch Metallschnallen zu Fixierungselementen und dadurch der Sprung zur Barriere. Unterstützend zu praktisch-künstlerischen Arbeit, hat sich Maria Gerbaulet im theoretischen Teil ihrer Thesis (Von der Hülle zum Material - Schmerzdiskurs von der christlichen Dominanz der Seele hin zum Leiden im Fleisch bei Francis Bacon und Berlinde De Bruyckere) mit Positionen beschäftigt, die den Zustand des Schmerzes und das Bewusstsein von körperlicher Vergänglichkeit ähnlich ihrer Praxis auf den Umgang mit Material und Farbe übertragen.
Tiefstart, 2024
Ton, Spannelemente, Metall, Gurtband 512 x 110 x 20cm
Die Verbindung von Anspannung und Disziplinierung des Körpers im Moment des Tiefstarts werden auf die plastische Masse des Tons übertragen. Der Ton wird nach oben hin immer stärker verdichtet und endet in einer ebenen Fläche. Seitliche Umklammerungen und Spannelemente, die in den Löchern verzurrt werden, unterstreichen das Zurückhalten und die Bündelung der Kräfte wie im Start. In der Ruhestellung werden im Start die höchsten Beschleunigungskräfte entwickelt. Die Löcher sind aus dem Negativ eines Lauf-Startblocks gebildet.
barren, 2024
Wachs, Metall, Kunststoff- Hindernisauflagen 214 x 32 x 51cm
Wachselemente werden wiederholt und bilden ein System, eine körperliche Struktur, die seitlich in Schalen aufliegt. Die Schalen halten die Struktur und fixieren sie gleichzeitig. Die Hindernisauflagen aus dem Springreiten werden als Readymades in ihrer Funktion manipuliert, indem der Sprung durch die Metallfixierung zur festen Barriere im Raum wird. Die körperliche Struktur wird als System gezeigt, das sich unter der Fixierung und Optimierung deformiert und zum verletzlichen Objekt wird.
Das Barren stellt eine Methode der Disziplinierung von tierischem Verhalten dar, zu einem normierten und optimierten Bewegungsablauf mit einem hohen Verletzungsrisiko für das Tier.
Drain, 2024
Rapswachs, Rapsöl, Drainage, Glas, 45 x 25 x 25cm
Strukturen aus Rapswachs liegen in Rapsöl als unterschiedliche Zustände eines Materials. Die Objekte zwischen verletztem Fragment und eigenständigem Wesen werden genährt, konserviert, geheilt, gespiegelt. Die Aquarien verweisen auf Leben, während die Flüssigkeit die Objekte zwischen Konservierung, Heilung und Auflösung schwanken lässt. Drainagerohre dienen zur Ableitung von Wasser an Gebäuden zum Schutz der Gebäudesubstanz. Im medizinischen Kontext werden über Drainagen schadhafte Flüssigkeiten aus dem Körper abgeleitet. Die Funktion wird in der Arbeit manipuliert, sodass der schützende zum fragilen Zustand wird.
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Finissage | 11/01/25 | 160 |