Arthur-Petersen-Preis 2024
157Ausstellung der vier Preisträger*innen:
Leon Bischinger, Raumstrategien
Simon Diepold, Industriedesign
Karla Rosenplänter, Kommunikationsdesign
Maria Gerbaulet, Freie Kunst
Eröffnung: 14. November 2024, 18 Uhr im spce | Muthesius
mit Preisverleihung durch Präsident Arne Zerbst
Zum zweiten Mal vergeben wir den Arthur-Petersen-Preis der Muthesius Kunsthochschule. Mit der Auszeichnung werden aus jedem Studiengang besondere künstlerische oder gestalterische Leistungen durch die Stipendienjury der Kunsthochschule prämiert.
Er ist mit insgesamt 10.000 Euro dotiert, aufgeteilt in vier Preise in Höhe von jeweils 2.500 Euro, die ausgewählte Abschlussarbeiten oder Abschlussprojekte von Masterabsolvent*innen der Studiengänge Freie Kunst, Raumstrategien, Industriedesign und Kommunikationsdesign auszeichnen.
Simon Diepold
Abora - Biodiversität und Umweltmonitoring in der Aufforstung, 2024
Monitoring-Einheit zum Sammeln von Umweltdaten standortspezifischer Mikro-Klimata mit eingebauter Kamera für Umgebungsfotografie, Bioabbaubares Duft-Label, Wallpaper
» Jeder Baum, der gepflanzt wird, ist viel mehr als nur ein Baum - es ist ein Zeichen der Hoffnung und des Glaubens an einer lebenswerten Zukunft. Dafür steht Abora.«
In vielen Wäldern ist der Konflikt zwischen Naturschutzzielen und den forstlichen Wirtschaftszielen allgegenwärtig. Dies zeigt sich insbesondere in der Aufforstung. Aktuelle Lösungen, welche den Herausforderungen entgegenwirken, sind hauptsächlich wirtschaftsorientiert und damit naturfern. Dem begegnet Simon Diepold mit seinem konzeptionellen Entwurf Abora. Abora verdeutlicht: Ökologie und Ökonomie stellen in einem nachhaltigen Konzept der Forstwirtschaft keinen Widerspruch dar.
Wälder sind zugleich Sehnsuchtsort, Mythos, Ökosystem, aber auch Wirtschaftsfaktor. Viel mehr noch gehören Wälder zu den Lebensgrundlagen der Menschheit. Das Ökosystem Wald und die Nutzung des Rohstoffes Holz sind essentiell für eine klimaneutrale Zukunft. Gerade in Zeiten des Klimawandels sind die vielseitigen Ökosystemleistungen eines intakten und gesunden Waldes wichtiger denn je. Dem widerspricht der Zustand vieler Wälder, der unter anderem wegen der Vielzahl von Kahlflächen besorgniserregend ist. Langfristig ist daher das Ziel, den Wald durch naturnahe Waldwirtschaft, welche besonders die Biodiversität erhöht, nachhaltig wieder aufzubauen und für die Zukunft zu stärken.
Die Transformation von Wäldern hin zu einem resistenten Klimawald der Zukunft ist im vollen Gange. Dabei hat es oberste Priorität den Wäldern neue klimaresistente Baumarten beizumischen. Eine der größten Herausforderung dabei ist, dass die Setzlinge standortgerecht gepflanzt werden, um so die sonst sehr hohe Mortalität in den ersten Jahren zu minimieren. Das fehlende Wissen über neue Baumarten in Kombination mit den sich schnell verändernden klimatischen Rahmenbedingungen verschärft diese Problematik. Darüber hinaus nimmt der Schutz vor Wildverbiss erhebliche Ressourcen in der forstbaulichen Praxis in Anspruch.
Abora besteht daher aus zwei Produkten: Abora-Schutz und Abora-Monitoring. Ein bioabbaubares Label schützt junge Bäume vor Wildverbiss. Es senkt so die Mortalität der Jungpflanzen und fördert damit die Biodiversität. Während des Abbauprozesses des Labels werden kontinuierlich Duftstoffe freigesetzt, die das Wild schonend auf Abstand halten. Die Monitoring-Einheit zeichnet gleichzeitig Umweltdaten der standortspezifischen Mikroklimata im Wald auf. Darüber hinaus werden Umgebungsfotos aufgenommen und so die Mortalität mittels einer Software über einen Zeitraum von vier Jahren dokumentiert. Die Korrelation zwischen einer Baumart, ihrer Mortalität und den lokalen Klimadaten ist letztlich von großer Bedeutung für die Forstwissenschaft.
Durch das neue, datenfundierte Wissen über die optimalen Standorteigenschaften der einzelnen Baumarten kann die Mortalität entscheidend gesenkt werden. Die Transformation hin zu einem nachhaltigen, klimaresistenten Wald wird so effizient gefördert.
Leon Bischinger
SALON – Rurale Begegnungsstrategien in ostdeutschen Kulturräumen, 2024
Gulaschkanone, Dokumentarische Fotografien einzelner SALON Veranstaltungen, Zeltdach mit olivgrünem Militärfallschirm
S A L O N ist eine Feldküche
S A L O N ist eine Kulturkanone
S A L O N ist eine Installation
S A L O N ist eine Bühne
S A L O N ist ein Monument
S A L O N ist Raumgestaltung
S A L O N ist Gesprächsanlass
S A L O N ist Feldforschung
S A L O N ist Saloon
„Eine Gulaschkanone ist (k)ein Relikt. Sie und die Orte an denen sie stehen sind besonders. Sie sind funktional und temporär, ungemütlich aber gesellig. Sie sind Orte zum Essen und zum Austausch. Mit dem Projekt SALON soll so ein Ort genutzt, besprochen, in seiner politischen Dimension diskutiert und als etwas „Neues“ rekonfiguriert werden.“
S A L O N beschäftigt sich mit der Frage, wie künstlerische Formate entwickelt werden können, die aktuellen gesellschaftlichen Spaltungstendenzen entgegenwirken und demokratiefördernde, gemeinschaftsstiftende, politisch-soziale Wirksamkeit in ruralen Milieus entfalten.
Das Aktionsfeld bezieht sich in Bischingers Praxis vorwiegend auf ostdeutsche Räume, die bislang von institutionell initiierten Impulsen unberührt blieben. Ziel ist es, Diskurse anzuregen, in denen sich die Unzulänglichkeiten politisch-motivierter Bildungsversuche zeigen und ‚im Feld‘ erprobte Handlungsoptionen besprochen werden, um damit unwahrscheinlich gewordene Begegnungen im öffentlichen Raum wieder möglich zu machen. Diese Begegnungen werden als Voraussetzungen dafür gesehen, dass Menschen das öffentliche Leben ihrer Region aktiv mitgestalten - und damit lernen autark, selbstwirksam und kleinmaßstäblich-lokal sozialräumliche Lücken zu füllen. Lücken, die, aufgrund geschichtlicher Veränderungen politischer und wirtschaftlicher Systeme und Systemwechsel die Lebensqualität in ländlichen Räumen massiv mindern.
Bei all der methodischen Pluralität und individuellen Perspektivvielfalt zeigt sich die emblematische Verortung der Formate im Objekt der Gulaschkanone dabei als erdendes Moment.Das Objekt, sein Kontext und ‚Unterton’ ist vieles: ein räumlicher Anhaltspunkt, ein profan-praktisches Objekt und ein Mittel, das über die Außenwirkung des Projekts Türen öffnen kann. Die räumliche Situation um das behauptete ‚Symbol ostdeutschen ruralen Kulturraums‘ dient einer Vielzahl von Veranstaltungsformaten als Rahmen, ästhetische Einfärbung und stiller politischer Kommentar.
Der S A L O N kann als Forschungsmobil eine Vielzahl von Erfahrungen und Anekdoten sammeln, die für den kuratorischen ‚Eingriff’ in ruralen ostdeutschen Kulturräumen zu betrachten sind, aber auch in anderen komplexen Bürger*innen-Konstellationen von großer Bedeutung sein können.
In Formen des persönlichen Austauschs auf Basis eines Gefühls der Verbundenheit - trotz offenkundiger Differenzen - liegt der zentrale Ansatz des Projekts. Statt großen politischen Statements und Gegenpositionierungen setzt der S A L O N auf die Kraft kleiner Situationen. So wie es scheint passieren hier in einer festgefahrenen politischen Situation die größten Veränderungen:
* im Zulassen temporärer Irritation, im eigenen Ins-Stocken-Kommens und im Erkennen des Stockens des Anderen
* im kleinen, beruhigten aber wachen Moment der gegenseitigen Wahrnehmung
* im Veranschaulichen politischer Fassaden in den Bereich des ehrlich Emotionalen
Maria Gerbaulet
In den formal-ästhetischen Arbeiten von Maria Gerbaulet geht es um körperliche Zustände, die auf Materialebene übertragen werden und als Skulpturen räumlich zurück auf den Körper des Rezipienten wirken. Dabei geht es um den Versuch, einen körperlichen, vergänglichen Zustand zu (er-)halten und zu fixieren. Die verwendeten formbaren Materialien (u.a. Wachs, Ton) erlauben der Künstlerin Spuren ihrer Behandlung – Verformung, Fixierung und Stauchung – in der Oberfläche darzustellen. In allen drei hier gezeigten Arbeiten ihres Masterabschlusses stehen sich kontrastierende Körperkonzepte gegenüber: der Körper als System (Disziplinierung, Optimierung, Objektifizierung) im Gegensatz zum Körper als vermeintlich natürliches Wesen (Deformation des Materials, Verletzlichkeit, Vergänglichkeit). Die verwendeten Readymades von Hindernisauflagen, über Fixierungssystemen aus dem Trockenbau, Spannsystemen oder Drainagerohren, werden bewusst so räumlich eingesetzt, dass die Manipulation und Steigerung ihrer Funktion Irritationen innerhalb der Skulptur schaffen. So ist das Drainagerohr, das zur Ableitung von Flüssigkeiten dient und so Gebäude (oder auch in anderem Kontext Körper) schützt in der Arbeit Drain vollständig umgeben von einer Flüssigkeit, die zwischen Konservierungs- und Heilungssubstanz schwankt. Bei Tiefstart wird die Verbindung von körperlicher Anspannung und Disziplinierung im Moment des Tiefstarts beim Sprint auf die plastische Masse des Tons übertragen und eine Verdichtung sowie Spannung erzeugt. In der Arbeit barren werden die Halterungen der Sprungauflagen durch Metallschnallen zu Fixierungselementen und dadurch der Sprung zur Barriere. Unterstützend zu praktisch-künstlerischen Arbeit, hat sich Maria Gerbaulet im theoretischen Teil ihrer Thesis (Von der Hülle zum Material - Schmerzdiskurs von der christlichen Dominanz der Seele hin zum Leiden im Fleisch bei Francis Bacon und Berlinde De Bruyckere) mit Positionen beschäftigt, die den Zustand des Schmerzes und das Bewusstsein von körperlicher Vergänglichkeit ähnlich ihrer Praxis auf den Umgang mit Material und Farbe übertragen.
Tiefstart, 2024
Ton, Spannelemente, Metall, Gurtband 512 x 110 x 20cm
Die Verbindung von Anspannung und Disziplinierung des Körpers im Moment des Tiefstarts werden auf die plastische Masse des Tons übertragen. Der Ton wird nach oben hin immer stärker verdichtet und endet in einer ebenen Fläche. Seitliche Umklammerungen und Spannelemente, die in den Löchern verzurrt werden, unterstreichen das Zurückhalten und die Bündelung der Kräfte wie im Start. In der Ruhestellung werden im Start die höchsten Beschleunigungskräfte entwickelt. Die Löcher sind aus dem Negativ eines Lauf-Startblocks gebildet.
barren, 2024
Wachs, Metall, Kunststoff- Hindernisauflagen 214 x 32 x 51cm
Wachselemente werden wiederholt und bilden ein System, eine körperliche Struktur, die seitlich in Schalen aufliegt. Die Schalen halten die Struktur und fixieren sie gleichzeitig. Die Hindernisauflagen aus dem Springreiten werden als Readymades in ihrer Funktion manipuliert, indem der Sprung durch die Metallfixierung zur festen Barriere im Raum wird. Die körperliche Struktur wird als System gezeigt, das sich unter der Fixierung und Optimierung deformiert und zum verletzlichen Objekt wird.
Das Barren stellt eine Methode der Disziplinierung von tierischem Verhalten dar, zu einem normierten und optimierten Bewegungsablauf mit einem hohen Verletzungsrisiko für das Tier.
Drain, 2024
Rapswachs, Rapsöl, Drainage, Glas, 45 x 25 x 25cm
Strukturen aus Rapswachs liegen in Rapsöl als unterschiedliche Zustände eines Materials. Die Objekte zwischen verletztem Fragment und eigenständigem Wesen werden genährt, konserviert, geheilt, gespiegelt. Die Aquarien verweisen auf Leben, während die Flüssigkeit die Objekte zwischen Konservierung, Heilung und Auflösung schwanken lässt. Drainagerohre dienen zur Ableitung von Wasser an Gebäuden zum Schutz der Gebäudesubstanz. Im medizinischen Kontext werden über Drainagen schadhafte Flüssigkeiten aus dem Körper abgeleitet. Die Funktion wird in der Arbeit manipuliert, sodass der schützende zum fragilen Zustand wird.
Karla Rosenplänter
All the Young Dudes – Übersetzung einer Fanfiction ins Analoge, 2024
24,4 x 18,4 cm
Offene Fadenheftung, französische Kreuzstichbindung
Papier: Pergraphica Natural Rough 90g, Clairefontaine Trophée 80g Sand
Baderole: Leinen
Schrift: DTL Dorian, Source Code Pro
Fanfiction ist ein Medium, das in den letzten Jahren zunehmend an kultureller Bedeutung gewonnen hat, aber dennoch oft in akademischen und gestalterischen Diskursen vernachlässigt wird. Fanfiction-Communities, die oft in Form von Online-Archiven existieren, sind Mikrokosmen, in denen Fans nicht nur passiv konsumieren, sondern aktiv Inhalte erschaffen, interpretieren und weiterentwickeln. Diese Online-Plattformen sind weitaus mehr als bloße Foren; sie sind Orte intensiver Auseinandersetzung, kritischer Reflexion und kollektiver Kreativität. Die Vorstellung, dass Fans ein Werk so sehr lieben, dass sie es durch eigene Geschichten erweitern und es auf diese Weise weiterleben lassen, ist von großer Faszination.
Diese Faszination diente Karla Rosenplänter als Ausgangspunkt, Fanfiction nicht nur als kulturelles Phänomen zu untersuchen, sondern auch als gestalterische Herausforderung zu betrachten. Wie lassen sich die spezifischen Eigenschaften des eigentlich rein digitalen Mediums in ein analoges Format übertragen? Wie lässt sich die offene, fortlaufende Struktur von Fanfiction in einem Buchobjekt darstellen? Wie kann die visuelle und haptische Gestaltung dazu beitragen, die Interaktivität und den kollaborativen Charakter widerzuspiegeln?
Entstanden ist ein Buchformat, das die Kapitel der Fanfiction und die zugehörigen Kommentare in einer strukturierten, aber dennoch flexiblen Form miteinander verbindet. Jedes Kapitel der Geschichte wird gefolgt von einer Lage, die die Kommentare der Leser*innen zum jeweiligen Kapitel enthält. Diese Abfolge spiegelt die Interaktivität und den fortlaufenden Dialog wider, der für Fanfiction so charakteristisch ist.
Ein zentraler Bestandteil der dem Buch zugrunde liegenden theoretischen Arbeit war die kritische Auseinandersetzung mit dem Weltbild der Harry-Potter-Romane sowie die Analyse von „All the Young Dudes“ als eine queere Fanfiction in diesem Universum. Diese Geschichte nimmt eine besondere Stellung ein, da sie nicht nur ein beliebtes Werk innerhalb der Fanfiction-Community ist, sondern auch in einem Spannungsfeld zu den problematischen Äußerungen von J.K. Rowling steht. Rowling wurde in den letzten Jahren wiederholt wegen trans- und queerfeindlicher Kommentare kritisiert, was viele Fans dazu bewegt hat, eigene queere Erzählungen im Harry-Potter-Universum zu schreiben, die den von Rowling geschaffenen Figuren neue, inklusive Bedeutungen verleihen. Fanfiction funktioniert hier als ein Medium des Widerstands und der Repräsentation und wie es Fans ermöglicht, eigene Identitäten und Vorstellungen in bestehende Werke einzuschreiben und sich somit Welten anzueignen.
Karla Rosenplänter überführt mit ihrem Buch die vielschichtigen Aspekte der Fanfiction als einem kreativen, kollaborativen und oft subversiven Medium in eine analoge Form und macht so die Bedeutung und den Wert dieses Mediums auch außerhalb des digitalen Raums erst sichtbar.